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10.07.2023

Interview im KI-Magazin des GVVNÖ

Der Mödlinger Hannes Weninger gibt nach geschlagener Landtagswahl sein Comeback als Klubchef der SPÖ NÖ. Der erfahrene Mandatar (Gemeinderat, Landtag, Nationalrat, EU) gilt als ausgefuchster Politstratege mit Handschlagqualität. Im großen KI-Magazin-Interview spricht er u.a. über die skurrilen Nachwahl-Gesprächsrunden mit der ÖVP.


Also jetzt einmal aus erster Hand, von jemanden der dabei war: Wie war das tatsächlich mit den ÖVP-Verhandlungen nach der Landtagswahl?


Eigentlich hat es überhaupt keine Verhandlungen gegeben. Zuerst einmal war nach der Wahl fast drei Wochen lang von der ÖVP nichts zu hören. Dann hat es das erste Treffen gegeben, auf das wir uns natürlich gründlich vorbereitet haben. Mein Gegenüber war Jochen Danninger, als neuer ÖVP-Klubobmann. Aber es war auch noch der bisherige, Klaus Schneeberger, im Hintergrund als Aufpasser mit dabei.


Wie gesagt hatten wir uns top vorbereitet und auf 29 Seiten aufgelistet, welche Ideen wir für Niederösterreich haben. Und selbstverständlich haben wir angenommen, dass sich auch die ÖVP gut vorbereitet hat. Wir haben ein Exemplar unseres Papiers jedem einzelnen ÖVPler übergeben und im Gegenzug ein entsprechendes ÖVP-Papier erwartet. Daraufhin ist die Frau Landeshauptmann nervös geworden und hat so etwas gesagt wie: Was soll das? Warum ein Papier? Was wollt Ihr? Das gibt’s nicht. Wir brauchen keine inhaltlichen Unterlagen. Und zu ihren Leuten: Gebt’s das wieder zurück! – Ein Exemplar hat sie sich behalten, ihren Leuten hat sie unsere Papiere wieder abgenommen und uns zurückgegeben.


Auf meine Frage, wie wir jetzt verhandeln sollen, wenn sie nicht wissen, was wir wollen und umgekehrt, hat sie gemeint, dass sie ohnehin die niederösterreichische Landesstrategie 2030 hätten und über alles andere würden wir uns schon einigen. Das heißt: Die haben schlichtweg nicht kapiert, dass sie die Wahl verloren haben und über keine Absolute mehr im Landtag und in der Landesregierung verfügen. Sie haben sich wohl nur gedacht: Na, den Roten geben wir halt ein paar Zuckerl, dann werden sie schon ruhig sein und wir machen weiter wie bisher. Doch als sie merkten, dass wir da nicht mitspielen, haben sie gesagt: 29 Seiten sind zu viel. – So in der Art: Wenn wir nix haben, könnt ihr nicht 29 Seiten auf den Tisch legen. Sagt’s uns fünf, sechs Dinge, die ihr gerne haben wollt.


So sind also diese fünf Forderungen der SPÖ Niederösterreich in die Welt gekommen ...


Ja. Noch in der ersten Gesprächsrunde und sozusagen aus den Umständen heraus. Wir haben gesagt ok, wir fassen unsere Leuchtturmprojekte zusammen und dann diskutieren wir darüber. Leider ging es dann so weiter, dass die ÖVP von Gesprächsrunde zu Gesprächsrunde noch immer nichts Eigenes vorgelegt hat. Sie haben uns immer nur erklärt, was alles nicht gehen würde.


Wie viele Runden waren das dann?


Sechs, sieben Treffen. Sogar sonntags und in verschiedensten Konstellationen. Mit und ohne Experten, im Acht Augen-Gespräch, mit Schreiduellen… Und irgendwann hab’ ich mir gedacht: So, jetzt müssten wir mal zu echten Verhandlungen kommen. Wir wollten den Kindergarten ganztägig, ganzjährig, gratis und die ÖVP will etwas anderes und irgendwie reden wir das aus. Wie kommen wir da zusammen? Aber noch bevor wir zu diesem Punkt gekommen sind, hat mich KO Danninger angerufen und gesagt: Tut mir leid, die Gespräche sind vorläufig auf Eis gelegt. Wir verhandeln mit den Freiheitlichen.


Wie lange hat diese Nicht-Verhandlung gedauert?


Na, so drei Wochen lang. Und wir waren wirklich bereit, sozusagen rund um die Uhr zu verhandeln.


Und in diesen drei Wochen ist es ausschließlich um die SPÖ-Punkte gegangen?


Im Prinzip schon, nur ganz zum Schluss hat die ÖVP dann auch ein paar eigene Punkte vorgelegt. Die sind wir dann intern durchgegangen und haben sie geampelt. Wo wir einer Meinung waren, das haben wir auf Grün gestellt, wo wir noch Diskussionsbedarf gesehen haben, auf Gelb und was für uns gar nicht gegangen ist, auf Rot. Da haben wir dann geglaubt, dass wir jetzt endlich in echte Verhandlungen kommen. Aber das war ein Irrtum. Die ÖVP hat dann plötzlich unsere Kernforderungen zum konstruierten Vorwand genommen, um die Gespräche mit uns abzubrechen. Wir haben in diesen Gesprächen immer gesagt, dass wir kompromissbereit sind, aber es kann selbstverständlich nicht so sein, dass die ÖVP diktiert und wir zu allem ja und Amen sagen. Aber ich glaube, dass sie das bis heute noch nicht verstanden haben.


Diese fünf zentralen SPÖ-Forderungen aus den Koalitionsverhandlungen –Kindergärten ganztägig, ganzjährig und gratis, die Ausweitung des Pilotprojekts einer Job-Garantie für Langzeitarbeitslose auf ganz Niederösterreich, ein Energiepreis-Stopp für die niederösterreichischen Haushalte, ein Anstellungsmodell für pflegende Familienangehörige und eine Strukturoffensive für vernachlässigte Regionen werden seitdem in der Öffentlichkeit mantraartig wiederholt.


Diese fünf Punkte sind sozusagen unsere Leuchtturmprojekte. Das haben wir vor der Wahl gesagt und dafür setzen wir uns natürlich auch nach der Wahl ein. Ich weiß ja, dass wir im Landtag für alle diese Punkte eine Mehrheit haben. Mit den Grünen, mit den Freiheitlichen, teilweise sogar mit der ÖVP. Jetzt kommt halt die Stunde der Wahrheit, bezüglich dessen, was die FPÖ vor der Wahl gesagt hat und was sie jetzt unter der Knute der ÖVP sich nicht mehr zu sagen traut. Aber natürlich werden von uns auch noch viele andere Themen auf’s Tapet kommen. Das haben wir mittlerweile auch schon bewiesen. Ganz besonders bei der Teuerung auf allen Ebenen. Wir haben immer diese Almosen, diese Einmalzahlungen kritisiert.


Da werden wir sicherlich nicht nachgeben. Stichworte Dringlichkeitsanträge und aktuelle Stunde. Da werden wir die ÖVP und die FPÖ nicht auslassen. Weil die Menschen halt nicht mehr können. Weder finanziell noch sonst wie.


Sie sind mit Abstand der in der Politik Erfahrenste im neu aufgestellten SPÖ-Klub. Wie schätzen Sie die völlig neue Situation in Landesregierung und Landtag ein? Und wie wird die SPÖ ihre neue Rolle anlegen?


Atmosphärisch ist die Situation sehr, sehr angespannt. Ich möchte sogar von eisiger Kälte der SPÖ gegenüber sprechen. Die ÖVP wird mit dieser Situation der schwarz-blauen Koalition nicht ganz fertig.

Die Heftigkeit der Kritik von außen wurde wahrscheinlich falsch eingeschätzt. Ja, aber nicht nur der Stress, den Künstler, Intellektuelle und Journalisten mit ihrer Kritik erzeugen ist hoch, sondern auch tief in der ÖVP drinnen, im christlich-sozialen Bereich, tut sich da diesbezüglich viel. Viele ÖVP-Bürgermeister und Bürgermeisterinnen genieren sich für diese schwarz-blaue Koalition und sagen das auch relativ offen.


Ich habe das im direkten Gespräch immer wieder erfahren. Aber natürlich weiß ich, dass ich diesbezüglich von einem Schwarzen ganz anders angeredet werde als beispielsweise der ÖVP-Landesparteisekretär. Ich hörte immer wieder Fragen wie: Wie hat das passieren können? Was war da wirklich? Warum machen unsere Leute das? – Also das alles geht tief hinein in die ÖVP-Struktur. Aber auch bei der FPÖ. Die Freiheitlichen haben gesagt: Die Mikl-Leitner verkörpert das Böse, die werden wir nie und nimmer zur Landeshauptfrau machen – und dann machen sie genau das Gegenteil. Die haben auch Erklärungsbedarf gegenüber ihren WählerInnen und FunktionärInnen.


Im Landtag haben wir schon bemerkt, dass die Freiheitlichen jetzt so abstimmen müssen, wie die ÖVP es anschafft. Im Gegenzug zieht die FPÖ die Volkspartei spürbar nach rechts. Wir hingegen werden nun im Landtag beinharte Oppositionspolitik machen. Damit die Sozialdemokratie wieder zu politischer Kontur findet. Das ist sicher auch das, was die Menschen von uns erwarten.


Ist diesmal, so wie meist in der Vergangenheit, kein ÖVP-Angebot für ein Arbeitsübereinkommen an die SPÖ gekommen? So was war ja dem Erwin Pröll und auch Johanna Mikl-Leitner immer so wichtig. Nein, verwunderlicher Weise nicht. Ich habe eigentlich damit gerechnet, dass da wieder so ein Vertrag unter den Vorzeichen gemeinsam arbeiten und mit allen ein bisserl auftaucht, aber das war diesmal nicht der Fall.


Mikl-Leitner und Landbauer – kann diese unselige, angeblich von beiden Seiten nicht gewünschte, Verbindung die ganze Legislaturperiode halten?


Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Die haben Hochzeit gefeiert und gleichzeitig schon die Scheidung eingereicht. Die Bilder bei den Pressekonferenzen und im Landtag sprechen ja Bände. Die sind vor den Traualtar getreten, keiner sagte richtig ja und der Pfarrer sagt trotzdem: Ihr seid jetzt ein Ehepaar. Eine vollkommen kuriose Situation. 


Was wird auf die Gemeinden in dieser Periode zukommen?


Wenn das so weitergeht wie ich es befürchte, dass weiterhin immer mehr offizielle Aufgaben auf die Gemeinden abgewälzt werden, dann wird die Situation für die Städte und Gemeinden, vor allem in finanzieller Hinsicht, noch dramatischer als sie ohnehin schon ist. Das kann noch sehr, sehr bitter werden. Dazu kommt noch, dass vor allem viele sozialdemokratische Bürgermeister und Bürgermeisterinnen oft freiwillig Lasten auf sich nehmen, einspringen, wenn sie wo Not und/oder Mängel erkennen. Beispiel: Der SooGut-Markt, Geschäft für sozial Bedürftige, kann nicht mehr existieren, also springt die Gemeinde in die Bresche. Die Vereine stöhnen unter den hohen Energiepreisen, also springt die Gemeinde ein. Es bleibt immer mehr auf dieser untersten Ebene hängen.


Auch die Nöte in den Bereichen Pflege und Kindergarten müssen von den Kommunen gestemmt werden. Stichwort Kindergarten. Was passiert hier gerade? Da wird ein Teil unserer Forderungen übernommen, aber die Belastungen werden alle auf die Gemeinden abgewälzt. Und bei der Gesundheit und der Pflege das Gleiche. Was die Gemeinden im Gesundheits- und Krankenhauswesen bezahlen, sind Unsummen – ohne auch nur einen Bruchteil an Information zu bekommen, von Mitbestimmung will ich erst gar nicht reden. Das kann es ja nicht sein.


Sie sind schon seit mehr als zehn Jahren auf EU-Ebene als Vertreter des Gemeindebunds im AdR, dem Ausschuss der Regionen. Wie oft treffen sich die Mitglieder und was genau passiert da?


Es gibt pro Jahr sechs zweitägige Sitzungen inklusive nationaler und fraktioneller Vorbereitung. Zuerst treffen sich die europäischen Sozialdemokraten, zu Mittag treffen sich die einzelnen Nationalstaaten und am Nachmittag beginnt dann das eineinhalbtägige Plenum mit 329 Mitgliedern. Im Plenum werden Punkt für Punkt alle Vorlagen der Kommission durchgekaut. Also alle Projekte mit kommunalpolitischer und/oder regionalpolitischer Relevanz. Dann werden dazu Stellungnahmen erarbeitet und zu einem gemeinsamen Bericht verfasst. Davor gibt es, wie in einem Parlament, eine Abstimmung. Normalerweise wird das so gut zwischen den Nationalstaaten und den Fraktionen vorbereitet, dass am Schluss Großteils Einstimmigkeit herrscht. Das geht dann an die Kommission und hat dann auch wirklich Gewicht, fast so wie die Stellungnahme des Europäischen Parlaments oder eines Nationalstaates.


Zum Abschluss noch leichtere Kost: Sie haben schon mit 47 Jahren das Große Goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen bekommen. Schon mal öffentlich getragen und bei welcher Gelegenheit?


(lacht) Nein. Ich bin mir dessen nicht wirklich bewusst. Dazu kommt: Ich trage nicht einmal irgendein Abzeichen und habe auch nicht vor, den Opernball zu besuchen. Meine Auszeichnungen und Orden liegen zu Hause fein säuberlich in einer Kassette. Freuen tu ich mich aber trotzdem sehr darüber.


Fotocredit: NÖ GVV/www.fotoplutsch.at